Gedicht "Tankstelle in Stuttgart"

interpretiert von Christian Heidrich in seinem Beitrag "Mystik für Anfänger" in "Christ in der Gegenwart" 29/2011


Eine solche Leichtfüßigkeit, Grazie eben, entdecke ich häufig bei Poeten, die große Stoffe anpacken, ohne sich von den Lasten der Tradition beeindrucken zu lassen. Susanne Stephan (geboren 1963) nähert sich wesentlichen Metaphern des Glaubens ausgerechnet an einer "Tankstelle in Stuttgart", die sie gut gelaunt "sonntags" anfährt - "denn sonntags / Ist Er da". Er, das ist nur der Mann, der für Sprit und Sonstiges kassiert. Und doch ist er der Herrscher über ein so kleines wie manchmal lebensnotwendiges Reich: "Zu seinen Füßen die Gaben, / die kleinen Wunder schokoliert, / und wer hat schon / von allen Sorten probiert?"

Schokoladiges als Lebensmittel und Trost, als Garant der guten Laune - und das noch an einem Sonntag, an einer Tankstelle? Das scheint so bedeutungslos wie lebensnotwendig. Das gehört zu den "gesprenkelten Dingen" - wie es der britische Lyriker und Jesuit Gerard Manley Hopkins einmal formuliert hat - unserer Welt, von denen die Dichter nicht lassen können. Susanne Stephan schließt mit Theologischem, ohne auch nur eine einzige theologische Vokabel zu nutzen: "Auch ohne Sein Wort: Wer reden will, / muss tanken, und wer tankt, / kann weiterfahren, getrost! / Nur zu sich und alles im Blick: / Zähler, Kasse, bunt gedruckte Welt, / spricht Er: Der Tag war gut."

Solche Bilder und Übertragungen sprechen, den Leser beglückend, von einem offenen Himmel.

© Christian Heidrich