Schale an der Kante, gehalten kaum...

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Erdbeeren in einer Wan Li-
Schale (Privatsammlung)

Der wiederentdeckte Stilllebenmaler Adriaen Coorte im Mauritshuis Den Haag
(23.2. bis 8.6.08)

Bild für Bild die Früchte gehäuft
und einzeln gezeigt,

auf grauer, gesprungener Steinplatte die Schale
weit vorgeschoben zur Kante

vor dunklem Grund

gehalten kaum von der
süßen Fülle.

(aus "Gegenzauber")

Frucht auf Stein

Das Mauritshuis in Den Haag präsentiert
den wiederentdeckten Stilllebenmaler Adriaen Coorte

Mispeln mit roten Johannis-
beeren und Weintrauben
(Boston, Abrams Collection)

Ein wunderliches Zusammentreffen: Ein Zweig mit roten Johannisbeeren und ein Zweig mit orangefarbenen Mispeln hängen, mit einer Schnur verknotet, von oben ins abgedunkelte Bild. Rechts unten auf einer steinernen Tischplatte liegen Trauben, jede schulgemäß mit einem Lichtpunkt versehen. Von links nähert sich eine Libelle, die ebenso präzise gemalt wie offensichtlich bezuglos zu den übrigen Bildelementen ist.

Das auf 1686 datierte Bild ist eines der frühesten bekannten Stillleben des rätselhaften niederländischen Spezialmalers Adriaen Coorte, von dem man nur die Daten der signierten Gemälde kennt (er war tätig von 1683 bis 1707) und einen Eintrag im Jahrbuch der St. Lukas-Gilde von Middelburg, einer damals prosperierenden Stadt an der Westerschelde: Coorte musste eine Geldstrafe zahlen, weil er versucht hatte, Bilder zu verkaufen, ohne Mitglied der Malerzunft zu sein. In zeitgenössischen Berichten von Kunstkennern und –reisenden taucht er nicht auf. Einige Ähnlichkeiten, exakte Vogelkopien, in Coortes ganz frühen Gemälden lassen annehmen, dass er bei dem Amsterdamer Maler Melchior d’Hondecoeter in die Lehre ging.


Mispeln, die vergessene Frucht:
Drei Mispeln mit Schmetterling
(Privatsammlung)

Erst im Lauf des 20. Jahrhunderts wurde Adriaen Coorte wiederentdeckt als ein herausragender, ganz eigenständiger Stilllebenmaler des ausgehenden 17.  Jahrhunderts. Was faszinierte und fasziniert, ist die Strenge und Schlichtheit seiner Kompositionen, die sich stark abheben vom damaligen Trend zum Prunkstillleben – aber auch ein gewisser surrealer Zug: kleine perspektivische Ungenauigkeiten, eine zum Wieder-Erstaunen präzise Wiedergabe bekannter Dinge.

1958 fand eine erste monographische Ausstellung in Dordrecht statt, die 21 Bilder umfasste. In der Zwischenzeit sind weitere Werke von Coorte aufgetaucht – erst vor zwei Jahren in Deutschland das Porträt eines Stachelbeerzweigs, das jetzt als Leihgabe in der Gemäldegalerie Alter Meister auf Schloss Wilhelmshöhe in Kassel hängt. Im Jahr 2003 präsentierte die National Gallery of Art in Washington D.C. 19 Gemälde des Malers unter dem Titel „Small Wonders“. Das Mauritshuis in Den Haag, das seit wenigen Jahren zwei Gemälde des Künstlers als private Schenkung besitzt, versammelt nun 35 Bilder, also etwas mehr als die Hälfte des bekannten Werkes, zu einer beeindruckenden „Ode an Coorte“.

Ein Zweig Stachelbeeren
(The Cleveland Museum of Art)

Die Neigung zur ungewöhnlichen Komposition teilte Coorte mit anderen Stilllebenmalern seiner Zeit, dem ausgehenden „Goldenen Zeitalter“. Allerdings versuchten die meisten, die Aufmerksamkeit der Bildkäufer durch möglichst opulente Inszenierungen zu wecken - farbig aufflammende, wild bewegte Blumensträuße - oder das "stille Leben" aufstörende Einfälle wie die Katze, die bei Abraham Mignon eine Blumenvase ins Wanken bringt (ausgestellt  in der aktuellen Stillleben-Schau im Frankfurter Städel).

 Coorte wählte einen anderen Weg: Die tradierten Elemente der Gattung wie die Komposition in einer Nische, den Totenkopf als mächtiges Memento Mori-Thema, die knabbernden Insekten als Vanitas-Wink lässt er bald hinter sich. Die Bildformate werden kleiner, und nur ein Schmetterling oder eine über die roten Früchte hinausragende weiße Erdbeerblüte dienen der subtilen Belebung des „stillen Lebens“, wie auch die kleinen Kerben und Sprünge in der Steinplatte, die bei ihm konstantes Bildelement ist. Exotische Muscheln, die eine Malergeneration früher den Vordergrund eines Stilllebens schmückten, werden zu ausdrucksstarken Solisten. Und Coorte verfeinert die Wiedergabe der Früchte zur stolz bezeugten, unübersehbar signierten Meisterschaft. Auf einem Bild von 1705 besetzt eine Traubenrispe mit ihrem rot-grünen Farbspiel, ihrer Transparenz, verhaltenen Lichtreflexen allein die Szene – gibt alles in den schönen Schein, in das vergängliche Sein gegen den kalten Widerpart des Steins.


Erdbeeren auf einer Steinplatte
(Mauritshuis, Den Haag)

Die Hauptrolle in Coortes Früchte-Stillleben spielen Stachelbeeren mit ihrer durchscheinenden, zugleich pelzigen Haut, Pfirsiche, Spargelbünde und immer wieder Erdbeeren – meist in Tongefäßen oder kostbaren Wan Li-Schüsseln präsentiert, die in einer verhaltenen Dramatik nah zur Kante der Steinplatte geschoben werden. Coortes kleine Früchte sind noch weit entfernt von den heutigen Züchtungen, die den Mund mit Masse füllen, und könnten einen Ausspruch von William Butler, einem englischen Botaniker von Anfang des 17. Jhs. illustrieren: "Doubtless God could have mad a better berry, but doubtless God never did." (Gewiss hätte Gott eine bessere Beere erschaffen können, aber ebenso gewiss hat Gott das nie getan.)

In der Stillleben-Ausstellung „Die Magie der Dinge“ im Frankfurter Städel ist Adriaen Coorte mit der Darstellung von Erdbeeren in einer Tonschale, in Kombination mit einem Zweig Stachelbeeren, vertreten (aus englischem Privatbesitz). Das Bild entstand kurz vor 1700 und wird von den Ausstellungsmachern als Antizipation von Jean Siméons Chardins „Flechtkorb mit Walderdbeeren“ gesehen, das als herausragendes Stillleben des 18. Jhs. die Ausstellung beschließt. Coortes Bildkompositionen könnten auch, so legt der Katalog  nahe, den Frankfurter Stilllebenmaler Justus Juncker bei seinem 1765 gemalten Doppelporträt bzw. Doppel-Denkmal eines Apfels und einer Birne inspiriert  haben.

Spargel mit Kirschen und
Schmetterling
(Privatsammlung)

Adriaen Coorte scheint jedoch in der ersten Hälfte des 17. Jhs., wie Sammlernachlässe und Auktionskataloge belegen, nur einigen Kunstfreunden in der Gegend von Middelburg bekannt gewesen zu sein. Die erwähnte Geldstrafe lässt annehmen, dass Coorte kein in Middelburg etablierter Maler mit Werkstatt und Lehrlingen war – die Spekulationen reichen von begütertem Amateur bis zu Teilzeitmaler, der seinen Lebensunterhalt noch mit anderen Tätigkeiten bestritt, wie zahlreiche seiner Kollegen auch, bei einem hart umkämpften Markt. Einige betätigten sich als Kunsthändler, Kaufmann oder Tulpenzwiebel-Spekulant, und der Genreszenen-Spezialist Jan Steen unterhielt in Delft eine Brauerei und später in Leiden eine Gaststätte.

Coorte malte fast ausschließlich auf Papier, das von ihm oder späteren Sammlern auf Leinwand übertragen wurde. Das Papier bot seiner Feinmalerei einen völlig glatten Untergrund; es war billiger als Leinwand, aber auch kein Alltagsprodukt. Ein Stilleben mit zwei Pfirsichen wurde, wie man in der Ausstellung sehen kann, auf die Rückseite einer dreißig Jahre älteren Kaufmannsrechnung gemalt. Das Milieu, das seine Bilder schätzte, das immer neue Variationen eines Früchte-Themas in Auftrag gab, wird in den intimen Räumen des Mauritshuis anschaulich. Und vielleicht war es in den wohlhabenden bürgerlichen Kreisen eine besondere Kuriosität, wenn an der Wand statt eines Ahnenporträts die postkartengroße Darstellung zweier Walnüsse hing. Deren unterschiedliche Charaktere man lange betrachten und diskutieren kann.

Zwei Walnüsse (Budapest, Szépmüvészeti Múzeum)


Ode aan Coorte. Mauritshuis, Den Haag, 23.2.-8.6.2008; Katalog mit Werkverzeichnis auf niederländisch und englisch (Autor: Quentin Buvelot), Softcover € 22,95/Hardcover € 27,95.  

www.mauritshuis.nl