Gegenzauber – Gedichte
Im Manuskript ausgezeichnet mit dem Thaddäus-Troll-Preis 2007
Die Höhle als archaischer Raum, als metaphorischer Ort, als Schutzraum und auch als Raum der Imagination (Zyklus „Die Sehnsucht des Schamanen“). Weitere Zyklen führen nach Norwegen („Nordische Kombinationen“), in den nahen, (un)heimeligen Wald und zurück in die Kindheit.
„Unter Tage, im unsicheren Licht der Fettfackel – dabei immer mit ruhigen, genauen Sprachbewegungen erkundet Susanne Stephan die Zeitschichten unserer troglodytischen Existenz. Ob vor den Wandmalereien von Lascaux oder hinter den gläsernen Fronten eines französischen Hypermarché, ihre neuen Gedichte ergründen den unauflöslichen Zusammenhang von Mensch und Tier, von Jäger und Beute, von Sprachfülle und Sprechen im Wortlaut der eigenen Poesie.“ Lutz Seiler
„‚Wo sind wir denn’“, fragen die Verse von Susanne Stephan und vermessen dabei die elementare Distanz und Nähe zwischen einer kaputten Taschenlampe und dem Splitter eines Mammutstoßzahns. Die Sprache dieser Gedichte wirkt wie die Kraft eines Amuletts.“ Walle Sayer
Aus der Begründung der Jury zum Thaddäus-Troll-Preis
„Die Gedichte Susanne Stephans zeigen einen beeindruckenden sprachlichen Reichtum. Die Lyrikerin protzt nicht mit den Möglichkeiten der Sprache, über die sie verfügt, sie kann bei ihr alltäglich sein oder festlich, farbig und in ihrer Schlichtheit manchmal auch fast feierlich. Da ist keine Pose dabei, keine Eitelkeit – Ehrgeiz ja, es mit den Wörtern aufzunehmen, mit ihrer Kraft und ihrem Können. Susanne Stephan beherrscht die ruhigen Bewegungen, aber auch die spielerischen, übermütigen der Sprache.
Die Dinge, Tiere und Menschen in diesen Gedichten kennen wir – wir sehen sie durch das poetische Licht, das sie leuchten lässt. In den Höhlengedichten ist dies ein archaisches Licht, ein Fackellicht, das andere Farben, Konturen, Schatten zeigt als unser Kunstlicht. Vor dem Hintergrund der Vorzeit erhalten die alltäglichen Gegenstände eine Magie, erscheinen wie aufgeladen mit archaischer Macht.
Gedichte wie aus einer großen Grabung, tiefe Schichten, ungeheure Zeitspannen, darüber – eine lächerlich kurze Spanne – die dünne Haut der Zivilisation, der „jämmerliche Überwurf“, wie es in einem Gedicht heißt. „Wo sind die Kerzen“ – fragen wir uns erschrocken, bei Stromausfall. Die Höhle ist die aller Menschen und also der Kinder auch, die „Kindheitshöhle“. Und wir haben alle Angst, auch im Wald. Die Sehnsucht des Schamanen ist, die Kunst zu finden, welche die Angst bannt und beruhigt. Aber es ist ein Wagnis. Weil man sich der Angst nähern muss. Und die Aufgabe des Schamanen ist auch, das Geheimnis zu bewahren. Das bewahrte Geheimnis leuchtet weiter. Wie diese Gedichte es tun: „Stille: nur der Wind, der durchs gefrorene Schilfrohr zieht.“
Aus der Laudatio von Dorothea Grünzweig
zur Verleihung des Thaddäus-Troll-Preises im Literaturhaus Stuttgart am 11.11.07
„Die Höhle ist konkreter, geologischer, von prähistorischer Zeit kündender Ort, aber wird im Verlauf des Buchs immer mehr eine aus dem Dunkel schimmernde und in die Tiefe ziehende Metapher. (…)
Susanne Stephans Gedichte scheinen wie eine poetische Antwort auf die Erkenntnisse von Hans Blumenberg in seinen ‚Höhlenausgängen’. Sie lässt die Dimensionen der wirklichen und der bildlichen Höhle aneinanderrühren, bis sie sich ineinanderschieben und sich immer neue Räume eröffnen. (…)
Susanne Stephan setzt sich mit dem in der Lyrik lange skeptisch beäugten Phänomen der Sprachmagie neu auseinander, schenkt ihm Raum und legt davon Zeugnis ab. (…) Aber das Vertrauen in die Worte ist bei ihr, dem heutigen Bewusstsein entsprechen, natürlich ein anderes. Ja, sie sollen aufbrechen, austreiben, bannen, aber der Gegenzauber liegt auf Messers Schneide, bleibt eine Sehnsucht.“
Vollständiger Text auf der Homepage des Förderkreises deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg e.V.: